Heute kriegt Arndt einen neuen Koffer. Morgen geht's ja schon wieder zurück.
Wir meinen, er braucht eh mal einen guten, großen, stabilen Koffer, hätten das jetzt aber zwangsläufig nicht hier in Beijing erledigt...
Sally, Arndt's Kollegin, urprünglich aus Beijing kommend, jetzt in Ulm lebend und arbeitend, hat uns bei der Kofferkaufentscheidung (hier oder doch erst in D?) dann ein bisschen auf Trab gebracht, die Entscheidung quasi vereinfacht.
Sie vermisst ein paar Beijinger Leckereien (das Paket riecht streng, je näher man ihm kommt, desto strenger..) so stark, dass sie ihren Bruder Alex beauftragt hat, die Leckerlies zu Arndt ins Büro zu liefern, damit wir sie dann mit nach D nehmen. Und da das Paket fast so groß ist wie Arndt's bisherige Reisetasche, ist schnell klar: Kofferkauf, und zwar hier und heute.
Alex wird mich um halb zehn in der Lobby abholen, um mir die besten Einkaufsplätze zu zeigen, und bei etwaigen Preisverhandlungen mit chinesischer Verhandlungstechnik zur Seite stehen.
Die heutige Einkaufsorgie wird über Ulm organisiert, ich frag noch Arndt, als er gestern abend deswegen mit Sally telefonierte: "Kann Alex eigentlich Englisch?" Antwort: "Ahm, nicht so gut...". Ich denke mir: "Egal, wird schon!", denn ich habe mittlerweile erfahren, Verständigung beim Einkaufen geht super mit Händen, Mimik und Taschenrechner. Ich sprech dann schnell Deutsch mit den Chinesen, sie antworten und fragen weiter auf Chinesisch. Irgendwie versteht man sich gut. Erstaunlich, wie ich finde.
Das Telefon klingelt, als ich auf der Toilette sitze. Gut, dass direkt hinter mir an der Wand auch ein Gerät hängt, ich nehme ab und erwarte den Concierge, er ist es aber nicht.
Es ist Sabrina, sie möchte uns an unserem vermeintlich letzten Tag nochmal ein paar Wohnungen zeigen, ich sage ihr, dass ich erst noch einkaufen muss, und gleich abgeholt werde. Kurze Zeit später hab ich noch eine Verabredung für heute nachmittag. Nochmal Wohnungen kucken. Fein, ein voller Tag also wieder.
Ich schaffs nicht von der Schüssel runter, als ich auflege, da klingelt's nämlich gleich nochmal. Eine fremde, weibliche Stimme stellt sich als Jennie vor, und sagt, sie wäre mit Mr. Wong gleich im Hotel, und wir verabreden uns in der Lobby. Ich kann grad noch sagen, dass ich schwarze Haare und eine schwarze Brille habe, als die Verbindung unterbrochen wird.

Jetzt aber nix wie Fertigwerden, Geld einstecken und los geht's. In der Lobby erkennt man mich, ich werde "This is Mr. Wong. My name is Jennie." von Jennie bekanntgemacht. Mr. Wong entschuldigt sich auf Englisch, dass er nur Japanisch und Chinesisch wirklich gut spricht, und für die englische Konversation heute, seine Assistentin Jennie mitgebracht hat.
Schluck, ich hab irgendjemand anders erwartet, aber auf keinen Fall einen Projektleiter von Panasonic, der mit seinem Team die ganzen Vidiwall-Installationen für die Olympischen Spiele gemacht hat.
Und der sich und seiner Assistentin heute den halben Tag freigemacht hat, um mit mir durch Beijing zu kurven um einen großen Koffer zu kaufen, damit das Fresspaket für seine Schwester gut in Ulm ankommt.
Das Taxi wartet noch draussen, wir steigen ein und los geht's. Dickes B.
Jennie und ich sitzen hinten, und wir unterhalten uns sofort, als würden wir uns schon länger kennen. Witzig, angenehm und total nett. Das fängt ja gut an. Mr. Wong kriegt ständig Anrufe, ein vielbeschäftigter Mann. Schön hier auf dem Mond.

Wir fahren zum Outletverkaufsareal, das umfasst vier Hallen. Ich darf das Taxi nicht bezahlen. Ich bin der Gast, und soll gefälligst still sein.
Jede dieser Hallen bietet Fabrikverkauf vom Feinsten auf drei Etagen. Hier kriegt man alle Qualitäten, handeln ist nicht üblich, die Sachen haben alle Preise auf Schildchen dran. Fast wie zuhause. Kaum was los hier, sehr entspannte Atmosphäre, großartige Auswahl.
Das ist das Taschenparadies! Ich krieg große Augen und rechne zusammen, was ich alles kaufen möchte.... und mir fällt siedendheiss ein: Das Bargeld, das ich einstecken hab, das wird im Leben nicht reichen. Und ich Idiot hab meine Kreditkarte und den Geldbeutel im Hotelsafe gelassen! Ich schlage mir im Geiste mit der flachen Hand auf die Stirn. Mehrmals. Stupido! Arrrrrgggghhhhhh. Noch'n Stirnschlag. Autsch.
Hilft nix, mein Bargeld reicht auf keinen Fall für den tollen Koffer, den ich für Arndt gefunden habe, und ich hätte auch gerne noch das hippe Lederbordcase, Preis 180 Euro, Arndt's Riesenkoffer von Antler ist genauso teuer wie mein kleiner von Rimowa, hat vier Rollen, ist schwarz und innen hochwertig ausgestattet. Günstig hier! Merken!
Also beichte ich meine Dummheit, mir ist das SOWAS VON PEINLICH!! Meine Begleiter kucken etwas seltsam, sagen aber "Üüüüüberhaupt kein Problem". Jennie und ich fahren mit dem Taxi zurück ins Hotel, Taxi wartet, ich renn rein, rauf, plündere den Safe, wieder runter, rein ins Taxi (MANN, IST MIR DAS PEINLICH!), 40 Minuten später sind wir wieder im Outlet. Ich darf schon wieder nicht das Taxi zahlen (Peinlich ist nun wirklich nicht mehr hinreichend!). Aber auf meiner persönlichen Peinlichkeitsskala für heute bin ich noch nicht ganz oben angekommen, da geht noch was.
Der schwarze Koffer wird jetzt also gekauft. Ich hab brav alle Kofferverkaufsstellen in dieser Etage durch, und der Vier-rädrige von Antler macht das Rennen. Ich darf aber nicht einfach den nehmen, der das so rumsteht vor dem Regal und damit zur Kasse gehen. Nee, nee, soweit sind wir noch lange nicht! Jetzt fangen meine beiden Begleiter an richtig in Fahrt zu kommen, ich werd zum Zuschauer. Mund zu, Poca.
Das Ausstellungsstück wurde ja schon von allen Seiten, innen und aussen akribisch untersucht, und die Verkäuferin mit Fragen gelöchert. (Das hab ich jetzt schon 6 Mal durch, weil wir uns ja schon ein paar Koffer angesehen haben.) Jetzt holt diese einen neu verpackten Koffer raus.
Der wird nun gemeinsam ausgepackt, wieder gedreht, gewendet, geöffnet, gezogen, auf vier Rollen, auf zwei Rollen, wieder hingelegt, jeder Zentimeter abgesucht, innen und aussen, keine Ahnung was die arme Verkäuferin alles gefragt wird. Griff raus, ganz raus, wieder auf Halbmast. Funktioniert. Nochmal ziehen. Die Rollen tun ihren Dienst. Lieber nochmal rückgefragt, bei der lächelnden Verkäuferin.
Sie antwortet brav und bleibt sehr geduldig. Nun geht's um die Funktion des Zahlenschlossen, es wird aus nächster Nähe angeschaut, es wird gefragt, die Verkäuferin erklärt Mr. Wong und Jennie wie das mit dem Zurückstellen der Zahlenkombination geht.
Ein anderer Kugelschreiber wird verzeweifelt gesucht, der den die Verkäuferin hatte, hat eine zu breite Mine um die Zurückstelltaste damit aktivieren zu können. Es findet sich kein Anderer, tragische Komödien kann nicht nur Shakespeare! Ich versuche ernst zu bleiben. Jennie und Mr. Wong fragen und reden weiter, kriegen nochmal das Schloss erklärt, um es mir dann langsam und dreimal hintereindander zu erklären.
(Anm. d. Red.: Funzt wie jedes andere Kofferschloss auch, ich tu trotzdem so, als hör ich das zum ersten Mal, und freu mich wie ein Kind ob der komischen Situation hier.)
Die internationale Garantiekarte wird mir jetzt feierlich überreicht, ich schau drauf: für etwaige Reklamationen in D müssten wir in NL anrufen, ich lache, ist halt ein britsches Modell, das Antlerding mit dem Hirschgeweih drauf, *lol*. Super, Dankeschön, das ist ja klasse, tolle Garantiekarte mit der Telefonliste drauf! Ja, vielen Dank. Tolle Karte das. Bin begeistert.
Dann krieg ich noch aus der Schublade die englische Anleitung für das Zahlenschloss, und ich krieg sicherheitshalber nochmal alles erklärt. Wieder zuerst von der Verkäuferin auf Chinesisch, dann von Jennie auf Englisch. Danke vielmals, ich glaub, ich weiss jetzt wie das geht.
(Ja, ist schon klar, ich laß ja auch die Kreditkarte im Hotelsafe, wenn ich zum Einkaufen gehe, da muss man mir schonmal alles etwas genauer erklären...grins. Planlos ist mein zweiter Vorname.)
Nach erneutem Ausprobieren dieses Kofferexemplars, jeder darf ihn nun noch einmal um die Regale ziehen, auf zwei Rollen, auf vier Rollen, und wieder wird das Ding gelobt und bequatscht, krieg ich einen Zettel mit dem Namen des Koffers (vermute ich, ist ja alles in Zeichen) und dem Preis drauf (der ist leicht zu erkennen).
Damit muss ich jetzt zur Kasse, bekomme ich erklärt, den draufstehenden Betrag bezahlen, und mit der Quitung die ich dann an der Kasse ausgehändigt bekomme, bekomme ich dann meine gekaufte Ware von der lieben Verkäuferin überreicht. Aha, so geht das hier.
Bevors jedoch wirklich zur Kasse geht, brauch ich erst noch einen neuen kleinen Rucksack. So einen dreieckingen, mit nur einem Träger, den man sich schräg um den Oberkörper schlingt. (Keine Ahnung, wie der ofizielle Produktname heisst. Ist halt praktisch das Ding, und Arndt hat seins in nem Ulmer Taxi vergessen. Kriegt man nicht wieder, in D. Deswegen kriegt er jetzt noch ein Geschenk zum Geschenk dazu.)
Das mit dem ledernen Bordcase überleg ich mir aber noch.
Es wiederholt sich fast die ganze Kaufprozedur, aber nur fast. Auch hier bekomme ich dann den obligatorischen Zettel, mit dem es jetzt endlich zur Kasse gehen kann.
Dort angekommen, muss ich dann erfahren, dass ich mit meiner Amex (wiedermal) nicht bezahlen darf. Es wird wirlkich Zeit, diese dämliche Karte für immer zu kündigen! Schon wieder peinlich. Was mach ich jetzt? Mit meiner EC-Karte kann ich auch nicht an der Kasse zahlen, wie ich gleich darauf erfahre. Doof.
Super, da hab ich mich jetzt extra nochmal durch die halbe Stadt fahren lassen, um dann doch nichts kaufen zu können. Subbrsach. Ah, vielleicht an der Hauptkasse in Gebäude drei, wie Mr. Wong dann aus dem Kassierer rausquetscht.
Auf dem Weg runter und raus aus dem Laden, denke ich, ich kann hier nix kaufen. Meine EC-Karte hat schon an vier Automaten in Beijing und davor an ca. 5 Automaten in Krakau NICHT funktioniert! In Ulm hab ich regelmäßig Probleme beim Fressnapf und in diversen anderen Läden! Wie soll ich hier jetzt an ausreichend Bargeld kommen? Bei meinem persönlichen Hau-den-Peinlichkeits-Lukas bin ich soeben ganz oben angekommen, die Glocke bimmelt wild. Ich versuche nichts von meiner Panik zu zeigen. Meine Begleiter bleiben sehr gefasst. Das Letzte, was ich will, ist, dass sie mich auslösen...
Kurz vor dem Ausgang steht ein Geldautomat der "Bank of China". Ich mache mir keine Hoffnungen, versuche mein Glück trotzdem. Komme wieder bis zur Auswahl des Betrages, darf wiedermal meine PIN eintippen, es rattert, bitte warten.... ich bin schon sehr gespannt, wenn's hier auch nicht klappt, besteht ja noch die klitzekleine Chance an der Hauptkasse mit der Amex zu zahlen, ich warte noch ein bisschen, werd gefragt, ob ich eine Quittung will. Klar will ich, wenn schon kein Geld rauskommt, dann wenigstens ein Blatt Papier mit chinesischen Zeichen drauf!
Ich werde überrascht. Es kommt erst das Geld, dann die Quittung, dann auch wieder meine Karte raus. Ich liebe die "Bank of China". Hätte ich mich vorher eigentlich auch mal erkundigen können, mit welchen ausländischen Banken meine Volksbank kooperiert. Wär aber auch viel langweiliger gewesen, hätte ich gleich gewusst an welchen Automaten ich Geld ausgespuckt bekomme, oder?!
Also, dann nichts wie zurück zur Kasse, ich strahle mittlerweile über beide Ohren. Ich hab Geld bekommen! Von einem chinesischen Geldautomaten! Ich bin stolz wie Oskar. Mein Peinlich-Lukas-Level sinkt ein klein wenig. Dauert ja immer ein bisschen länger, bis einem was nicht mehr ganz so peinlich ist.
Ich gebe dem Kassierer strahlend zweieinhalb Tausend RMB im Tausch gegen eine weitere Quittung auf der ich nun eine größere Auswahl an chinesischen Zeichen stehen habe, und ein paar Zahlen mehr dazu. Schöne Quittung, so eine schöne Quittung. Ich hab echt was gekauft. Und selber bezahlen können. Gut gemacht, Poca.
Zurück zu den Verkäufern, Waren abholen. Kleinen Rucksack in großen Koffer packen. Mr. Wong zieht ihn. Ich darf nichts ziehen, kucke nur glücklich als wir in strahlendem Sonnenschein über den Parkplatz zum Taxistand gehen.

Tschüß Einkaufsparadies!
Da kanns ja jetzt endlich zum Mittagessen gehen. :-D